Hans-Peter Porzner
Museum für Moderne Kunst München

Pressetext zur Ausstellung Steven van Heeck
„Das Eck der Welt“
im Cafe Museum Jazz.Club Passau
vom 12. Januar bis 8. April 2018

Ausstellungseröffnung
11. Januar 19.00 Uhr

Steven van Heeck

Das Eck der Welt

„Die Frage, die sich nun in ihrer Kunst stellt, ist nicht mehr, was Malerei oder Kunst als solche ausmacht, sondern was letzten Endes gute Kunst als solche ausmacht. Oder anders gefragt: Was ist der letztendliche Ursprung von Wert oder Qualität in der Kunst? Und die Antwort, die sie erarbeitet haben, ist offenbar nicht technisches Geschick, nicht Übung und nichts anderes, was mit dem Prozeß der Ausführung zu tun hat. Sondern allein die Konzeption. Bildung und Geschmack mögen vielleicht notwendige Voraussetzungen für die Konzeption sein, doch die Konzeption allein ist entscheidend.“

Clement Greenberg, Nach dem Abstrakten Expressionismus (1962). In: Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken. Herausgegeben von Karlheinz Lüdeking. Aus dem Englischen von Christoph Hollender, Hamburg 2009, S. 332.

Ab 11. Januar hängt im Cafe Museum Passau ein neues Bild.

Das Café des Museums für moderne Kunst Passau präsentiert in seiner neuen Ausstellung und in Zusammenarbeit mit dem Museum für Moderne Kunst München den in Würzburg lebenden und arbeitenden Künstler Steven van Heeck.
Steven van Heeck möchte mit dieser Einbild-Ausstellung auf das Medium der Malerei aufmerksam machen: es geht um diese komplex geführten Diskurse und Theorien, um die von der Malerei und Nach-Malerei-Kunst (Postkolonialismus) gekennzeichneten Kunstwelt.

Die Fronten der Theoretiker und Probanden sind verhärtet „und immer mal wieder“ wird vom Tod der Malerei gesprochen; gemalte Bilder werden verwechselt oder leichtfertig als Gemälde verkannt, obwohl es „sich in Wirklichkeit um eine Trommel handelt, die nur aussieht wie ein Bild“.

In diese Dualität stößt die Ausstellung, die damit weit mehr als nur eine Einbild-Ausstellung darstellt. (Man kann sich natürlich im Museum eine Fortsetzung dieser Einbild-Ausstellung vorstellen. Die Chancen einer großen Präsentation in Form einer Einzelausstellung sind diesbzgl. günstig.)

„Kreiert“ wurden vom Künstler zwei Werke, zwei auf den ersten Blick identische Werke; aber dann fallen einem die feinen bis groben Unterschiede ins Auge bis man feststellen muss, dass es dem Künstler nicht darum ging zwei gleichartige Bilder zu malen, sondern je ein klassisches Gemälde zu malen und ein Objekt zu kreieren, das nur wie ein Bild aussieht, in Wirklichkeit aber eine Trommel mit dessen Eigenschaften ist. Es wird der Begriff der Malerei unterlaufen, aber gleichzeitig wird er erweitert und bestätigt.

Beide Werke können einzeln ausgestellt (die Ausstellung birgt eine Überraschung), als zwei unterschiedliche Produkte oder als Einheit wahrgenommen werden. Die Einladungskarte (siehe die Abbildung der Vorder- und Rückseite der doppelseitigen Klappkarte auf der Ausstellungsseite der Galerie Komma und Paul Würzburg http://www.kommaundpaul.de/ausstellungen.html) ist hier zu beachten. Markant ist außerdem auch der Stil, der sich an die Motive der asiatischen Manga-Kunst anlehnt. Ikonografisch belebt werden diese Bilder durch den westlichen, „europäisch-asiatischen“ Diskurs. Aus dieser Spannung schöpft der Künstler; sie produziert auch die Legitimation der Ausstellung hier in Passau. Kunstgeschichte, Politik, Geschichte und Gesellschaft rücken damit natürlich ebenfalls in die Perspektive des Blickes.

Diese Spannung ist für den in Russland geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Künstler symptomatisch, sie erst produziert das Thema Manga, es ist entsprechend zu bewerten. Die Malerei gehört also nicht einfach naiv einem Diskurs, den man in Japan, Südkorea, China, Amerika führen könnte, an. Sie ist im provozierenden Maße gerade auch europäische Malerei.

Historische Verschiebungen und Wechselbeziehungen legitimieren diese Ausstellung mit den drei Flüssen, die sich im bekannten Dreiflüsse-Eck Passau „treffen“. Die Donau, der Inn und die Ilz treten in einer mythologischen Schau hier als die drei Grazien auf, sie haben sich als japanische Manga-Figuren verkleidet. Wasser tritt als Lebensspender (alle drei Flüsse leben von und miteinander, sie bilden eine „Einheit“), aber auch als Zerstörer auf; nach der katastrophalen Überschwemmung 2013 konnte man aus der Vogelperspektive Passau mit Venedig verwechseln. Venedig als Austragungsort der alle zwei Jahre stattfindenden Biennale rückt damit ebenfalls in die Perspektive.

Dank der engagierten Unterstützung des Besitzers des Cafe Museums, Herrn Jürgen Waldner, wurde die Ausstellung möglich.

Die Vernissage findet am 11. Januar um 19 Uhr statt. Zur Eröffnung begrüßt Sie die Kuratorin des Cafe Museums, Ulrike Zebisch, es folgt eine Rede von Hans-Peter Porzner.

Hans-Peter Porzner
Museum für Moderne Kunst München

Rede zur Ausstellung
Steven van Heeck, Passau, 11. Januar 2017, 19.00 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Künstler,

die Portugiesen kamen im siebzehnten Jahrhundert nach Japan und glaubten, auch dort Asiaten zu begegnen. Die Japaner aber hatten von sich ganz andere Begriffe. Dass sie dynamisch waren, glaubt man schon diesem Wandschirm anzusehen. So lautet die Legende unter einem Foto zu einem Zeitungsartikel von Stefan Gnam in der Rubrik „Geisteswissenschaften“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Mittwoch, dem 29. Juli 2009. Der Artikel ist überschrieben mit „Das Reich der aufgehenden Sonne und das Reich der Mitte. Vom Hegemon des östlichen Großraums zu den Vereinten Nationen. Japans Selbstdeutungen mit Blick auf Asien.“ Bei dem Artikel handelt es sich um die Rezension eines von Marc Frey und Nicola Spakowski 2009 im Leipziger Universitätsverlag herausgegebenen Bandes „Asiens-men seit dem neunzehnten Jahrhundert“. Dieser Artikel soll uns als Folie für das Hintergrundgeschehen der Kunst Steven van Heecks, denn es geht hier nicht einfach um Manga, nützlich sein. Wir wollen aus diesem Artikel entsprechend weitere Passagen in unserem kleinen Vortrag weiter unten zitieren. Ich konstruiere hier natürlich eine zeitliche Spannung zwischen 2009 und 2018, um methodisch mich genau auf diese Weise dieser Kunst hermeneutisch zu nähern.

Steven van Heeck, der Vater ist Deutscher, die Mutter Russin, hat schon im Alter von elf Jahren erstaunlich erwachsene Bilder gemalt, schon früh zeichnet sich sein Interesse für die Manga-Kunst aus, seit fünf Jahren betreibt er die Sache professionell, er ist siebenundzwanzig Jahre alt, er spricht japanisch.

Steven van Heeck kennt sich geschichtlich gut aus. Der japanisch-russische Krieg von 1905, den Japan gewinnt und von hier aus zur Weltmacht aufsteigt, wird von ihm nicht weniger reflektiert wie der japanische Weltstar Yoshitomo Nara, der heute in Südkorea geradezu Kult ist.

Irgendwann zwischen elf und zwanzig Jahren verwandelt sich indes Steven van Heeck von einem Deutschen in einen Japaner, schaut aus der Perspektive eines Europäers auf die Sache des Asiatischen, auf die Sache des Japanischen, Chinesischen, Koreanischen usw. Und immerzu sind Rückverwandlungen fast gleichzeitig zu bemerken. Die Dinge laufen parallel ab, er verhält sich zum Europäischen wie zum Asiatischen, er verhält sich zum Asiatischen wie zum Europäischen, um damit Paul Cézannes berühmtes „Parallel zur Natur“ und Paul Klees „Wie zur Natur“ zu zitieren.

Steven van Heeck ist die Problematik der Begriffe bewusst, er spielt mit ihnen. Auf unserem Bild hier in der Ausstellung erscheint die Frau gekreuzigt, von diesen drei Grazien repräsentiert sie die Donau. Dieses einzigartige Flusssystem hier in Passau ist für Steven van Heeck natürlich auch ein willkommener Anlass auf das Flusssystem in der griechischen Mythologie zu reflektieren. Hinter dieser Figur geht die japanische Sonne auf – oder die des amerikanischen Popkünstlers Roy Lichtenstein. Das Ganze wirkt befremdend, was soll das? Man kann das Ganze als Rätselbild im Sinne von Albrecht Dürers „Melancholie I“ (1514) begreifen. Leider kann der Kunsthistoriker Hermann Bauer, der diesen Terminus bezogen auf dieses Werk Dürers – dazu gibt es ja Tausende von Deutungen – einführte, nicht mehr über Steven van Heeck schreiben. Das Bild Steven van Heecks scheint ebenso einen Wust an Informationen verarbeitet zu haben. Wie ist das Attribut der schwarzen Figur, die wohl für die Ilz steht – die schwarze Perle in diesem Flusssystem – zu verstehen? Und die schlangenähnlich Form, die sie in der Hand hat: ist das eine Donald-Trump-Frisur? Wie sind diese drei Grazien auf dieses Flusssystem bezogen? Steven van Heeck schweigt sich, wenn man ihn nach dem attributiven Zusammenhang fragt, darüber aus. Ist es ein zwingender, ein offener oder eher ein subjektivistischer Zusammenhang? Es könnte natürlich auch sein, dass die drei Grazien Touristen sind und sich Passau einmal anschauen wollten. Zufällig ist ihnen hier Steven van Heeck begegnet, der dann dieses Bild konzipiert hat. Steven van Heeck ein geschickter Fotoreporter? Das Bild ist insgesamt überaus konservativ komponiert, die Moderne ab 1945 scheint es nicht zu geben. Das Bild hat in der Tat mehr mit Salvador Dalis „Apotheose des Homer – Tagtraum von Gala“ aus dem Jahre 1945/1945 gemeinsam als mit zeitgenössischer Kunst. Wie würde der 1994 gestorbene amerikanische Kunsthistoriker Clement Greenberg, für den die moderne Kunstgeschichte spätestens mit Robert Ryman zu Ende gegangen ist, weil sie sich eben in Ansehung des überschrittenen Höhepunktes nur noch obszön wiederholen kann, dieses Bild bewerten? Steven van Heeck fragt indes auf der Basis eines provozierenden und scheinbar skandalösen Konservativismus weiterhin nach den Möglichkeiten einer Modernen, nach der Moderne nach der Moderne, d.h. er umgeht von hier aus ganz bewusst die verstrickenden Holzwege, zu denen die zeitgenössische Kunst gerade auch durch den sie dominierenden Journalismus und durch die Vermarktungssysteme noch einmal ganz anders als zu Zeiten Jean Baudrillards verführt wird.

Das Asiatische, das Japanische spiegelt uns das Europäische, die Sache des Westens. Was aber ist das Asiatische, das Japanische von sich aus? Oder sind wir mit diesen Fragen nicht doch schon wieder in abendländisch-griechische, vielleicht sogar postmodern anmutende Fragestellungen verstrickt? Ich will den Eindruck noch etwas zuspitzen.

Wenn wir die beiden Bilder betrachten – das Bild auf der Einladungskarte ist nicht identisch mit dem hier ausgestellten –, könnte man von hier aus auf das europäische Problem der Malerei, es ist insgesamt ein Problem des Westens, daraus ableiten. Die Leinwand des Bildes auf der Einladungskarte ist in Wirklichkeit so fest gespannt, dass man das Bild auch als eine Trommel wahrnehmen könnte. Es ist ja gar kein Gemälde, es ist eine Trommel. Vielleicht hätte es der Trommelkünstler Stefan von Huene in eine seiner Installationen einbauen können. Aber warum Blechtrommel, warum der Bezug auf diesen Weltroman von Günter Grass? Es ist jedenfalls nicht einfach ein Gemälde, unterliegt also nicht einfach Argumentationen der malereikritischen Position von „The Happy Fainting of Painting“ bis Sachverhalten der postkolonialistischen Kritik, wie sie die letzten Jahre bis Dana Schutz heute modern geworden sind. Die Probleme der Malerei lassen sich jedenfalls von hier aus sehr genau ableiten, bestimmen und analysieren. Das wollen wir hier nicht tun. Stattdessen wollen wir auf Steven van Heecks Reflexion auf das Europäische, und des Asiatischen eingehen. Und das soll hier im Sinne von Herrn Jürgen Waldner, in zwölf Minuten geschehen. Ich bedanke mich hier ganz besonders bei ihm, bei Herrn Antony Vaggers, bei Frau Ulrike Zebisch, bei Herrn Helmut Eckerl, bei Frau Patricia Aigner, Frau Carmen Blumenschein; durch das blitzschnelle und kluge Reagieren von Herrn Waldner ist diese Ausstellung ja überhaupt erst zu Stande gekommen. Auch ein hervorragender Museumsdirektor, was die Seite des Handelns betrifft, wie man vielleicht sich spekulativ denken könnte und sich in Zukunft wünscht.

Ich möchte drei Zitate aus diesem Zeitungsartikel von Stefan Gnam bringen:

So stellte der chinesische Revolutionär und „Vater der Republik“ Sunn-Yat-sen in einer Rede in Kobe 1924 erneut die „asiatische Gretchenfrage“: „Ihr Japaner müsst nun entscheiden, ob ihr für die zukünftige Kultur der Welt der Wachhund des westlichen Despotismus oder aber die Trutzburg des östlichen gerechten Wegs der Könige sein wollt.“

Unter Rückgriff auf Foucault erkennt die Autorin ferner unterschiedliche „Wahrheitsregimes“ und Konfliktfelder in konkurrierenden nationalen Mythen: So gibt es zwischen China und Korea territoriale Streitigkeiten bezüglich des im Grenzgebiet  gelegenen Bergs Paek-du/Changhai, der für die Geschichte beider Länder wichtig ist und hier wie dort Prozesse der Nationalbildung begleitet. 

Als Ausweg der asiatischen  Identitätskrise erscheint die neuere akademische Praxis eines „kritischen Regionalismus“:
In einem dekonstruktivistischen Ansatz einer Dekolonisation des Geistes werden eurozentristische Asien-Bilder im Dienst geopolitischer Interessen entlarvt. Ausgehend von einer „Position ohne Identität im Namen Asien“ sollte die besessene Beschäftigung mit dem Westen aufgegeben und „Asien als Methode“ in dem Sinne neu definiert werden, dass Asien beziehungsweise andere asiatische Länder als „Bezugspunkt und Spiegel“ bei der Reflexion der eigenen historischen Erfahrungen dienen. Letzten Endes handelt es sich aber auch hier um einen „Gegenregionalismus“ und ein „spirituelles Gegen-Europa“. So geraten  die diskursive Umarmung Asiens und Visionen einer alternativen asiatischen Moderne wie „asiatische Werte“ oder „konfuzianischer Kapitalismus“ in die Falle der Selbstorientalisierung, welche die Denkweisen des Westens und die historischen Annahmen des Orientalismus, aus dessen Schatten sie doch heraustreten wollten, erst recht verinnerlicht. Asien, so machen die Beiträge des Sammelbandes deutlich, ist eine instabile, umstrittene Kategorie.

Soweit diese drei Zitate.

Seit 2009 sind nun erst neun Jahre vergangen, und es braucht nicht weiter erläutert zu werden, warum der Terminus des „Asiatischen“, die „Methode des Asiatischen“ merkwürdig überholt erscheint. Schon damals eigentlich ungenügend. Die asiatischen Staaten feiern doch inzwischen ihre Nationalitäten – und das ist doch die letzten Jahre auch allgemein sichtbar geworden. Wie verhält sich Steven van Heeck dazu?

Steven van Heeck arbeitet mit verschiedenen Verschiebungen; es sind Verschiebungen zeitlicher und räumlicher Natur. So reflektiert er eben auch auf die Geschichte des Asiatischen und auch auf diesen Zeitungsartikel, d.h. auf das, was dieser Zeitungsartikel in der Konsequenz transportiert. Es sind eben permanente Verwandlungen, die sich hier hervorkehren und überkreuzen, die sich gegenseitig segmentieren oder miteinander konkurrieren. Und er versucht auch. Methoden zu entwickeln, das Westliche zu umgehen. Ein Grund, weshalb es nicht ganz einfach ist mit ihm: aber das ist schon wieder Ausdruck der ganzen Verschiebung. Wenn man sich schon so lange mit dem Japanischen, mit dem Asiatischen beschäftigt hat, ist man eben auch irgendwie ein Japaner, ein Asiate. Zu Besuch als Deutscher, Russe, Europäer in Passau.

Steven van Heeck macht es viel Freude, solche Bilder zu konzipieren. Die Freude an der Kunst  – und das hat er mit August Macke gemeinsam – steht über irgendwelchen ideologischen Einschüchterungsversuchen der Postmoderne, irgendwelcher Regionalismen zeitlicher oder räumlicher Art, der Globalisierung. 

Man könnte sich durchaus eine Fortsetzung dieser Ausstellung hier im Passauer Museum für moderne Kunst vorstellen, die zweite Station könnte zusammen mit Dürers „Melancholie I“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, die vierte Station könnte im Lenbachhaus in München zusammen mit August Macke stattfinden. Und dann könnte das Ganze weiter wandern zur Biennale nach Venedig. Passau – Venedig. Steven van Heeck ist ein Großmeister der Kunst in der Epoche der Globalisierung und des Anti-Kolonialistischen. Nachdem die großen Metropolen der Kunst erschöpft und ausgelaugt sind, könnte Passau sich zu einem neuen Strahlungszentrum der zeitgenössischen Kunst verwandeln.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.